Teil 2 unserer Serie “Winning Ugly” nach dem gleichnamigen Buch von Brad Gilbert der ehemaligen Nummer 4 in der Welt. Sein bemerkenswertes Buch enthält wertvolle Tipps zur Spieltaktik auch für Freizeitspieler. Diesmal beleuchten wir, wie du durch taktisches Geschick das Spielglück auf deine Seite ziehen kannst.

Der zentrale Punkt in einem Tennismatch ist die Frage, wer macht was mit wem. Erst wenn du das erkennst, kannst du deine Spielweise so ausrichten, dass auch stärkere Gegenspieler Mühe haben gegen dich zu gewinnen.

Zu aller erst solltest du deine eigenen Stärken und Schwächen kennenlernen. Wahrscheinlich spielt auch in deiner Mannschaft jemand, der, obwohl er keine Überschläge hat, unerwartet oft gewinnt. Frag ihn, wie er deine Stärken und Schwächen einschätzt und welche Schwachpunkte er als Gegner nutzen würde. Oder spendiere deinem Trainer oder einem exzellenten Clubspieler, die deine Spielweise gut kennen, einen Kaffee und frage sie danach. Es ist auch hilfreich, nach jedem Match Notizen zu machen und deine Stärken und Schwächen zu dokumentieren. Was waren die Knackpunkte im Spiel? Gib dir selbst Noten für deine verschiedenen Schläge und deine Taktik.

Wenn du deinen Gegenspieler nicht kennst, solltest du das Einschlagen nutzen, um Informationen zu gewinnen. Wie schlägt er die Vorhand, wie die Rückhand, welchen Eindruck machen die Volleys und die Aufschläge? Allerdings solltest du das Einschlagen auch nicht überbewerten. 

Im Match solltest du seine Schläge analysieren. Was sind seine Lieblingsschläge? Spielt er Topspin oder Slice oder variiert er? Besonders interessant ist, welche Schläge spielt er unter Druck, zum Beispiel bei Spielbällen? Dann zeigt er sein wahres Gesicht. Außerdem solltest du analysieren, wo seine Lieblingsstelle auf dem Platz ist. Steht er weit auf der Rückhandseite, um seine Rückhand zu umlaufen. Steht er fast schon im Feld oder weit dahinter? Wie reagiert er auf Rhythmus-Wechsel, wenn du abwechselnd harte und weiche Bälle spielst oder abwechselnd auf seine Vorhand und Rückhand spielst oder zwischen mehrere Topspin-Schlägen einen Slice einstreust?

Nachdem du dir einen Überblick über die Stärken und Schwächen deines Gegenübers verschafft hast, kannst du dieses Wissen gewinnbringend einsetzen. Sehr hilfreich ist es oft, ihn daran zu hindern, regelmäßig auf seine Lieblingsstellen auf dem Platz zurückzukommen.

Im Match solltest konzentriert, sicher, aber auch druckvoll spielen. Spiele lange Bälle, am Besten bis kurz vor die Grundlinie. Das eröffnet dem Gegner weniger Chancen zum Angriff. Geh kein unnötiges Risiko ein. Deine Zauberschläge kannst du ja in Begegnungen probieren, wenn es um nichts geht. Überlege dir vor dem Match eine Spielstrategie und bleibe dabei. 

Besonders wichtig sind die Spiele vor dem Spielball. Wenn es 30:30, 30:15, 15:30 usw. steht und entweder du oder der Gegner danach Vorteil hat. Dann spiele besonders konzentriert, durchaus druckvoll, aber ohne unnötiges Risiko. Das Gleiche gilt für das Spiel, dem die Möglichkeit zum Satzgewinn folgt, wie z.B. beim 4:4 oder 5:5.

Ändere nichts an deiner Spielweise, wenn du in Führung liegst. Spiel genau das, was dich in Führung gebracht hat, nur noch konzentrierter. Wechsle nicht das Handtuch und nicht den Schläger. Behalte deinen Rhythmus bei. Bei Spielball oder Satzball kann es hilfreich sein, sich einzureden, man liege 30:40 zurück. 

Ganz anders sieht es aus, wenn du hinten liegst. Zuerst musst du analysieren, wer macht was mit wem? Folge ich meiner Spielstrategie? Was tut der Gegner, um sie zu durchkreuzen?  Die Spielstrategie solltest du erst ändern, wenn du im ersten Satz weit hinten liegst oder den ersten Satz verloren hast und im zweiten gebreakt wirst. Was du sofort tun solltest, ist selbst das Tempo zu bestimmen und das Spiel verlangsamen. Suche dir einen Punkt an der Grundlinie, zu dem du nach jedem Ballwechsel hinläufst. Mache langsam, binde dir die Schuhe, lass dir beim Aufschlag und beim Return mehr Zeit. Verhindere, dass der Gegner ins Rollen kommt. Außerdem zahlt es sich jetzt aus, wenn du außer deinem üblichen Spiel auch eine etwas andere Spielweise zur Verfügung hast, einen Plan B. Vielleicht hat dein Gegner damit weit größere Probleme.

Wenn du unmittelbar davor stehst einen Satz oder das Match zu gewinnen, bäumen sich viele Gegner nochmal auf und geben Vollgas. Darum rechne in solchen Situationen mit dem Schlimmsten. Der Gegner wird sich möglicherweise die Seele aus dem Leib rennen und plötzlich Zauberschläge auspacken. Bleib ruhig und konzentriert. Lass den Gegner um jeden Punkt kämpfen.

Beim Tennis gewinnt nicht automatisch der Spieler mit den besseren Schlägen, sondern oft auch der mit der besseren Taktik. Nutze das aus.

Patrick Kärcher


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